Im Seminar werden pragmatische und literarische Texte analysiert, aus denen sich ein Prozess der Transformation in der Beziehung zwischen Mensch, Gott und Natur im Übergang von der Epoche des ,Sturm und Drang' zur ,Weimarer Klassik' erschließen lässt. Ein Fokus liegt hier zunächst auf Goethes Lyrik: Hier wird eine Entwicklungslinie rekonstruiert, die von der rebellisch vorgetragenen Religionskritik eines prototypischen ,Stürmer und Dränger'-Subjekts im ,Prometheus' (1774) bis zur programmatischen Selbstbeschränkung menschlicher Subjektivität in ,Die Grenzen der Menschheit' (1781) im Zeichen der Weimarer Klassik führt. Ebenso wird ein Seitenblick auf besonders aussagekräftige Szenen des ,Faust I' geworfen, die das Drama menschlichen Erkenntnisstrebens verdeutlichen, von den Krisen der Gelehrsamkeit im ,Studierzimmer' über die Wendung vom Religiösen zum Weltlichen im ,Osterspaziergang' bis zur Entdeckung der Sexualität in der ,Gartenszene': Deutlich wird dabei, dass mit der Frage nach den ,Menschenbildern' auch die Konstruktion(en) von Geschlecht in der Weimarer Klassik zur Diskussion steht. Neben Goethe wird ein zweiter Schwerpunkt auf Schiller liegen, insbesondere auf dem ,Don Karlos' (1787) und der philosophischen Fundierung des dramatischen Bildungsdiskurses in den ,Briefen über die ästhetische Erziehung' (1795) .
Das Seminar verfolgt ein doppeltes Ziel: Zum einen werden fachwissenschaftliche Kompetenzen der Analyse pragmatischer und literarischer Texte der Epoche eingeübt. Ein besonderer Fokus liegt hier auf der Technik des ,close reading', also der genauen, sinn- und formerschließenden Lektüre und Interpretation von lyrischen und dramatischen Texten in ihrem Epochenkontext. Gleichzeitig werden grundlegende akademische Formate eingeübt (Referat, Thesenpapier, Hausarbeit). Ein zweiter Schwerpunkt liegt auf der Vermittlung fachdidaktischer Kompetenzen. Das Thema "Menschenbilder in der Literatur im Zeitalter der Klassik" ist 2025 Abitur-Schwerpunktthema im Fach Deutsch in Berlin und Brandenburg. Vor diesem Hintergrund sollen fachdidaktische Ansätze zur Modellierung des Themas für den Unterricht in der gymnasialen Oberstufe entwickelt und erprobt werden. Auch hier werden die verschiedenen Ebenen in den Blick genommen (Unterrichtsreihe, Sequenz, Einzelstunde). Der Seminarleiter unterrichtet gerade selbst eine Unterrichtsreihe zum Thema am Evangelischen Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin, kann also konkrete Beispiele aus der Schulpraxis in das Seminar einbringen. Studien- und Prüfungsleistungen können sowohl zum fachwissenschaftlichen als auch zum fachdidaktischen Schwerpunkt erbracht werden.
Ausgewählte Seminarsitzungen werden im Rahmen der Germanistischen Institutspartnerschaft Potsdam-Tartu "Das geteilte Kulturerbe in Deutschland und im Baltikum" gemeinsam mit Dozierenden und Studierenden der Universität Tartu abgehalten. Der Open UP-Kurs steht Teilnehmer:innen aus Potsdam und Tartu offen. Voraussichtlich im August 2024 wird eine Exkursion nach Tartu stattfinden, die den Export von Menschenbildern der Weimarer Klassik ins Baltikum anhand der Literatur und Architektur der estnischen Universitätsstadt nachzeichnet, die 2024 zugleich auch europäische Kulturhauptstadt ist. Weitere Informationen zum Programm finden Sie auf der Homepage der GIP Potsdam-Tartu: https://www.uni-potsdam.de/de/gip-tartu/
- Kursleiter*in: Kaspar Renner