
Angesichts des realen Leidens so vieler Menschen aufgrund des menschenverachtenden Angriffskrieges in Europa verbietet sich die vorschnelle Behandlung dieses Geschehens als Gegenstand eines geschichtlichen Seminars. Denn das würde die tagtäglich von den Ukrainern durchlebten Schrecken verharmlosen zu einem vermeintlich schon ›historisch‹ gewordenen Lehrstoff, fein säuberlich getrennt von unserer eigenen Lebenswirklichkeit. Deshalb fiel die Konzeption des Seminars sehr schwer. Aber das Erschrecken über die Eskalation der militärischen Aggression gegen die Ukraine seit dem 24. Februar 2022 setzte sich im Rückblick auf unsere Seminarreihe über das ›Kriegserleben in Tagebüchern und Briefen‹ seit der frühen Neuzeit bis zu den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts auf einer ganz anderen Ebene fort. So erwies sich die Ukraine als eine historische Schlüssel-Region, die in den in Potsdam seit dem Jahr 2017 behandelten Feldpostbriefen als Absendeort und beschriebener Schauplatz wegweisend vorkommt! Konzepte des Spacial turn innerhalb der Geschichtswissenschaft wie der Begriff der »Bloodlands« (Timothy Snyder, 2010) hatten wir dabei natürlich im Blick. Die festzustellende (welt)historische Bedeutung der Ukraine und der Kiewer Rus für das 21. Jahrhundert, die aus diesen Briefen zu uns sprach, haben wir dabei allerdings völlig verkannt! Deshalb stellt das Folge-Seminar beispielhaft die edierten bzw. als privates Erbe überlieferten Feldpostbriefe einer Soldatenheimschwester sowie eines jungen Infanterie-Leutnants an den Anfang, u. a. verfasst in Orten wie Lwiw, Winnyzja oder Zwiahel (Nowohrad-Wolynskyj) als Stationen der sog. ›Ostfront‹. Anhand weiterer repräsentativer Beispiele führt die Lehrveranstaltung zugleich ein in die Geschichte der Textsorte als neu zu entdeckende historische Quellengattung. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Entstehung der ersten Feldpostsysteme in der frühen Neuzeit. Die Veranstaltung findet 14‑täglich statt! Um Voranmeldung wird gebeten unter charlier@uni-potsdam.de.
Literatur: (1a) Hellmuth Karasek
et al. (Hrsg.): Briefe bewegen die Welt. Bd. 6: Feldpost. Vom Dreißigjährigen
Krieg bis heute [etc.]. Kempen 2013 [darin:
Anette Schücking an ihren Vater Lothar, S. 91-99] − (1b) Julia Paulus;
Marion Röwekamp (Hrsg.): Eine
Soldatenheimschwester an der Ostfront. Briefwechsel von Annette Schücking mit
ihrer Familie (1941-1943). Paderborn u. a. 2015 [hier insbes. S. 9-29] – (2)
Feldpostbriefe und -karten von Karl
Kollmann jun. (Jg. 1924; (†)1945) an die Eltern und Geschwister (Januar
1944 − Februar 1945); maschinenschriftl. Typoskript, teilediert und kommentiert
von Hans-Georg Kollmann.
Recklinghausen 2002. – (3) Gerhard Oberleitner: Geschichte der Deutschen
Feldpost 1937-1945. Innsbruck 1993 – (4)
Andreas Kappeler: Kleine
Geschichte der Ukraine. München 2019 [ggfs. div. Neuaufl.]
Präsentation: Lea Fürst: Die Feldpostbriefe Karl Kollmanns aus der Ukraine 1941-44
Semesterapparat: https: //web.ub.uni-potsdam.de/php/dat/*8478FC34167C288EC84EF77F2934D99731346698.php
Das Kursbild verdanken wir folgender Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/49/Flag_of_Ukraine.svg- Kursleiter*in: Robert Charlier